Uns dort organisieren, wo wir stehen!

Am 17.09.2022 haben wir an der ersten Demo des Halleschen Bündnisses „Genug ist Genug“ teilgenommen. Hier findet ihr eine Zusammenfassung unseres Redebeitrags zum Nachlesen.

Die FAU ist eine anarchistische Basisgewerkschaft und wir führen vor allem Arbeitskämpfe im Niedriglohnsektor und in Betrieben, wo es kaum oder keine gewerkschaftliche Organisierung gibt. In der letzten Zeit hatten wir dabei u.a. mit dem Pizzalieferanten Domino‘s zu tun, dessen Filialen in Halle, Leipzig und Magdeburg geltendes Arbeitsrecht unterliefen und aggressiv gegen gewerkschaftliche Organisierung vorgingen. Wir versuchen, auch für jede einzelne Arbeiterin alles rauszuholen, was mit den uns zur Verfügung stehenden rechtlichen und gewerkschaftlichen Mitteln möglich ist. Und damit sollten wir auch im größeren Maßstab den derzeitigen sozialen Herausforderungen begegnen: Uns dort zu organisieren, wo wir stehen, überall dort solidarisch soziale Kämpfe führen, wo unsere Grundlage für ein gutes Leben in Gefahr gerät.

Großdemonstrationen mit Forderungen an die Politik sind wichtig. Denn angesichts der Umverteilung von unten nach oben sollten wir das einfordern, was wir mit unserer Lohnarbeit an Reichtum produzieren. Und es ist unerlässlich, dass wir mittels Demonstrationen noch mehr Menschen ermutigen, selbstbewusst und solidarisch das einzufordern, was ihnen zusteht. Wenn allerdings unsere Chef*innen weiter ordentliche Profite durch die Ausbeutung unserer Arbeitskraft machen, dann sollten wir versuchen, uns genau von ihnen das Geld zu holen, das wir zum Leben brauchen. Steigende Mindestlöhne oder Mietmoratorien können schützende Mittel sein, langfristiger und nachhaltiger wären allerdings höhere Löhne. Und die bekommen wir vor allem durch eine solidarische Organisierung.

Dasselbe gilt für Kämpfe gegen steigende Mieten: Organisieren wir uns mit unseren Nachbar*innen und stemmen wir uns gegen unsere Ausbeutung durch Vermieter*innen und Immobilienspekulant*innen! Diese Kämpfe beginnen buchstäblich vor unserer Haustür und können durch keine Gesetzesänderung aus Berlin überflüssig gemacht werden. Denn es ist doch so, dass wir als Gewerkschaft vor allem damit beschäftigt sind, per Organisierung das bereits geltende Recht durchzusetzen. Auch wenn wir von viel mehr träumen sollten. Chef*innen unterlaufen permanent geltendes Arbeitsrecht, weil sie wissen, dass wir nicht gut genug organisiert sind, um uns zu wehren. Wenn wir nicht mehr wissen, wovon wir Miete und weitere lebensnotwendige Ausgaben bezahlen sollen, dann sollten wir uns organisieren, streiken, Betriebe besetzen und mit allen Mitteln für unsere Rechte kämpfen. Ohne uns läuft hier gar nix und genau das können wir mit Streiks unmissverständlich klarmachen.

An diesem Punkt wollen wir noch kurz den Aspekt der Solidarität und Unteilbarkeit ansprechen. Im Aufruf zur Demo wurde ja bereits klargemacht, dass wir uns gegen jeden Rassismus stellen. Das ist nicht nur eine grundmenschliche Haltung – es ist auch eine Unerlässlichkeit, um eine Spaltung der Lohnabhängigen zu verhindern. Dort, wo wir gegeneinander ausgespielt werden können, ob als Kolleg*innen oder als Nachbar*innen, da können wir keine Kämpfe gewinnen. Damit ist auch völlig klar, warum AfD, Querdenker*innen und Nazis genau das Gegenteil von dem vertreten, wofür wir auf die Straße gehen. Rassismus gegenüber Kolleg*innen, die etwa aus dem Ausland kommen und aufgrund größerer Not bereit sind, zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten oder unsere Arbeitsplätze zu übernehmen, wenn wir sie wegen zu schlechter Bedingungen aufgeben, ist ein Schnitt ins eigene Fleisch. Nur wenn wir die Rechte derer verteidigen können, die am prekärsten beschäftigt sind, können wir auch die Rechte aller anderen verteidigen.

Wir haben als FAU vor mehreren Jahren eine lange Kampagne rumänischer Bauarbeiter in der Mall of Berlin mitgetragen, denen mehrere Monate Lohn nicht gezahlt wurden. Wir haben im ersten Corona-Sommer bei Bonn Hunderte rumänische Spargelstecher*innen dabei unterstützt, ihre Löhne vom insolventen Betrieb Spargel Ritter einzuholen. Und in diesem Zusammenhang wollen wir auch auf einen untragbaren Zustand vor den Toren Halles hinweisen, und zwar beim Schlachthof von Tönnies in Weißenfels, dem größten Schlachthof Ostdeutschlands: Bei Tönnies finden gerade Massenentlassungen statt, die vor allem Arbeiter*innen aus Rumänien und Bulgarien treffen. Die Arbeiter*innen verlieren damit von einem Tag auf den anderen nicht nur ihr Einkommen, sondern sind damit auch gezwungen, aus den oft werkseigenen Wohnungen auszuziehen. In der Mitteldeutschen Zeitung gibt es bereits erste Berichte darüber, wie Tönnies die kurzfristig frei werdenden Wohnungen beräumen und alles auf die Straße werfen lässt, wodurch eine ganze Nachbarschaft verdreckt wurde. Es ist gut möglich, dass viele der Kündigungen rechtswidrig sind. Jedoch werden die osteuropäischen Arbeiter*innen in vielen Fällen keine Zeit oder Gelder haben, bis zu einem erfolgreichen Einklagen vor dem Arbeitsgericht in Weißenfels oder gar in Deutschland zu bleiben. Stattdessen ist zu befürchten, dass viele aus wirtschaftlicher Not entweder zurück in ihre Herkunftsländer gehen oder alsbald andere Arbeit im Niedriglohnsektor suchen. Diese gewerkschaftliche Niederlage ist nicht nur eine für die Beschäftigten von Tönnies – sie ist auch eine für alle anderen Arbeiter*innen, weil Tönnies damit ein Exempel für viele andere Industriezweige statuiert.

Lasst uns all dem eine neue Welle der Solidarität und der selbstorganisierten sozialen Kämpfe entgegensetzen – mit Demonstrationen, Gründungen von Betriebsgruppen, Nachbarschaftsvernetzung und Mut zum Streik!

[ssba]