Im Jahr 2020 machte der Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück Schlagzeilen, als es im Werk und in den überbelegten Unterkünften der Arbeiter:innen massenhafte Corona-Ausbrüche gab. Zeitgleich erschien der Sammelband „Das ‚System Tönnies‘ – organisierte Kriminalität und moderne Sklaverei“, in dem verschiedene Akteur:innen aus Gewerkschaften, Landwirtschaft, Tierschutz, Kirchen, Wissenschaft und Umweltverbänden ihre Erfahrungen mit dem größten deutschen Fleischkonzern schildern. Das Buch traf somit genau den Nerv der Zeit. Seitdem gab es mit dem „Arbeitschutzkontrollgesetz“ weitreichende arbeitsrechtliche Reformen in der Fleischindustrie. Die Probleme für Tierwohl, Umwelt und Arbeiter:innen sind damit trotzdem nicht gelöst. In einem zweiten Band (August 2022) ziehen verschiedene Autor:innen eine erste Bilanz und gehen auf weitere problematische Aspekte des „System Tönnies“ ein.
Als FAU Halle sind wir seit Längerem mit dem Tönnies-Werk in Weißenfels befasst. Dort steht der größte Schlachthof Ostdeutschlands, der in beiden Büchern auch behandelt wird. In einer Lesung mit den Mitautor:innen Dieter Wegner von der Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg und Diana Harnisch vom BUND Weißenfels wollen wir auch in Halle die Aufmerksamkeit auf die Zustände in der Fleischindustrie richten. Wir werden zudem zu den Erfahrungen osteuropäischer Arbeiterinnen in Weißenfels und zur Schwierigkeit gewerkschaftlicher Organisierung berichten. Kommt vorbei!

Uns dort organisieren, wo wir stehen!

Am 17.09.2022 haben wir an der ersten Demo des Halleschen Bündnisses „Genug ist Genug“ teilgenommen. Hier findet ihr eine Zusammenfassung unseres Redebeitrags zum Nachlesen.

Die FAU ist eine anarchistische Basisgewerkschaft und wir führen vor allem Arbeitskämpfe im Niedriglohnsektor und in Betrieben, wo es kaum oder keine gewerkschaftliche Organisierung gibt. In der letzten Zeit hatten wir dabei u.a. mit dem Pizzalieferanten Domino‘s zu tun, dessen Filialen in Halle, Leipzig und Magdeburg geltendes Arbeitsrecht unterliefen und aggressiv gegen gewerkschaftliche Organisierung vorgingen. Wir versuchen, auch für jede einzelne Arbeiterin alles rauszuholen, was mit den uns zur Verfügung stehenden rechtlichen und gewerkschaftlichen Mitteln möglich ist. Und damit sollten wir auch im größeren Maßstab den derzeitigen sozialen Herausforderungen begegnen: Uns dort zu organisieren, wo wir stehen, überall dort solidarisch soziale Kämpfe führen, wo unsere Grundlage für ein gutes Leben in Gefahr gerät.

Großdemonstrationen mit Forderungen an die Politik sind wichtig. Denn angesichts der Umverteilung von unten nach oben sollten wir das einfordern, was wir mit unserer Lohnarbeit an Reichtum produzieren. Und es ist unerlässlich, dass wir mittels Demonstrationen noch mehr Menschen ermutigen, selbstbewusst und solidarisch das einzufordern, was ihnen zusteht. Wenn allerdings unsere Chef*innen weiter ordentliche Profite durch die Ausbeutung unserer Arbeitskraft machen, dann sollten wir versuchen, uns genau von ihnen das Geld zu holen, das wir zum Leben brauchen. Steigende Mindestlöhne oder Mietmoratorien können schützende Mittel sein, langfristiger und nachhaltiger wären allerdings höhere Löhne. Und die bekommen wir vor allem durch eine solidarische Organisierung.

Dasselbe gilt für Kämpfe gegen steigende Mieten: Organisieren wir uns mit unseren Nachbar*innen und stemmen wir uns gegen unsere Ausbeutung durch Vermieter*innen und Immobilienspekulant*innen! Diese Kämpfe beginnen buchstäblich vor unserer Haustür und können durch keine Gesetzesänderung aus Berlin überflüssig gemacht werden. Denn es ist doch so, dass wir als Gewerkschaft vor allem damit beschäftigt sind, per Organisierung das bereits geltende Recht durchzusetzen. Auch wenn wir von viel mehr träumen sollten. Chef*innen unterlaufen permanent geltendes Arbeitsrecht, weil sie wissen, dass wir nicht gut genug organisiert sind, um uns zu wehren. Wenn wir nicht mehr wissen, wovon wir Miete und weitere lebensnotwendige Ausgaben bezahlen sollen, dann sollten wir uns organisieren, streiken, Betriebe besetzen und mit allen Mitteln für unsere Rechte kämpfen. Ohne uns läuft hier gar nix und genau das können wir mit Streiks unmissverständlich klarmachen.

An diesem Punkt wollen wir noch kurz den Aspekt der Solidarität und Unteilbarkeit ansprechen. Im Aufruf zur Demo wurde ja bereits klargemacht, dass wir uns gegen jeden Rassismus stellen. Das ist nicht nur eine grundmenschliche Haltung – es ist auch eine Unerlässlichkeit, um eine Spaltung der Lohnabhängigen zu verhindern. Dort, wo wir gegeneinander ausgespielt werden können, ob als Kolleg*innen oder als Nachbar*innen, da können wir keine Kämpfe gewinnen. Damit ist auch völlig klar, warum AfD, Querdenker*innen und Nazis genau das Gegenteil von dem vertreten, wofür wir auf die Straße gehen. Rassismus gegenüber Kolleg*innen, die etwa aus dem Ausland kommen und aufgrund größerer Not bereit sind, zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten oder unsere Arbeitsplätze zu übernehmen, wenn wir sie wegen zu schlechter Bedingungen aufgeben, ist ein Schnitt ins eigene Fleisch. Nur wenn wir die Rechte derer verteidigen können, die am prekärsten beschäftigt sind, können wir auch die Rechte aller anderen verteidigen.

Wir haben als FAU vor mehreren Jahren eine lange Kampagne rumänischer Bauarbeiter in der Mall of Berlin mitgetragen, denen mehrere Monate Lohn nicht gezahlt wurden. Wir haben im ersten Corona-Sommer bei Bonn Hunderte rumänische Spargelstecher*innen dabei unterstützt, ihre Löhne vom insolventen Betrieb Spargel Ritter einzuholen. Und in diesem Zusammenhang wollen wir auch auf einen untragbaren Zustand vor den Toren Halles hinweisen, und zwar beim Schlachthof von Tönnies in Weißenfels, dem größten Schlachthof Ostdeutschlands: Bei Tönnies finden gerade Massenentlassungen statt, die vor allem Arbeiter*innen aus Rumänien und Bulgarien treffen. Die Arbeiter*innen verlieren damit von einem Tag auf den anderen nicht nur ihr Einkommen, sondern sind damit auch gezwungen, aus den oft werkseigenen Wohnungen auszuziehen. In der Mitteldeutschen Zeitung gibt es bereits erste Berichte darüber, wie Tönnies die kurzfristig frei werdenden Wohnungen beräumen und alles auf die Straße werfen lässt, wodurch eine ganze Nachbarschaft verdreckt wurde. Es ist gut möglich, dass viele der Kündigungen rechtswidrig sind. Jedoch werden die osteuropäischen Arbeiter*innen in vielen Fällen keine Zeit oder Gelder haben, bis zu einem erfolgreichen Einklagen vor dem Arbeitsgericht in Weißenfels oder gar in Deutschland zu bleiben. Stattdessen ist zu befürchten, dass viele aus wirtschaftlicher Not entweder zurück in ihre Herkunftsländer gehen oder alsbald andere Arbeit im Niedriglohnsektor suchen. Diese gewerkschaftliche Niederlage ist nicht nur eine für die Beschäftigten von Tönnies – sie ist auch eine für alle anderen Arbeiter*innen, weil Tönnies damit ein Exempel für viele andere Industriezweige statuiert.

Lasst uns all dem eine neue Welle der Solidarität und der selbstorganisierten sozialen Kämpfe entgegensetzen – mit Demonstrationen, Gründungen von Betriebsgruppen, Nachbarschaftsvernetzung und Mut zum Streik!

2022 Gründe gegen das System Tönnies: Kundgebung am 13.5. in Weißenfels

Auf Initiative des BUND findet am Freitag, dem 13.5., um 15 Uhr auf dem Weißenfelser Marktplatz eine Kundgebung gegen den Schlachthof von Tönnies statt.

Die Aktion steht im Kontext des Aktionstag #Freitag13, mit dem die Aktion gegen Arbeitsunrecht dieses Jahr gegen Union Busting, also die Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisierung, bei ALDI-Süd protestiert. Der BUND knüpft mit der Kundgebung in Weißenfels an frühere Proteste an, bei denen Gewerkschaften zusammen mit Umweltorganisationen und Tierbefreier*innen gegen den Schlachthof auf die Straße gingen.

Tönnies betreibt in Weißenfels den größten Schlachthof Ostdeutschlands. Hier arbeiten Tausende Menschen, darunter eine Vielzahl aus Ost- und Südosteuropa. Tönnies steht stellvertretend für die Kernprobleme des heutigen Kapitalismus: Umweltverschmutzung, Befeuern des Klimawandels, Ausbeutung von Menschen als Arbeiter*innen und Mieter*innen, sowie Tierquälerei. Auch in Weißenfels sind diese Auswirkungen seit Langem spürbar.

Zu Beginn der Corona-Pandemie geriet Tönnies in Rheda-Wiedenbrück (NRW) wegen der hohen Infektionszahlen in der Belegschaft und deren überbelegten und zudem überteuerten Unterkünften in den Fokus der Öffentlichkeit. Presse und Politik empörten sich über das ausgefeilte System der Ausbeutung durch Scheinselbständigkeit und Subunternehmer*innen. Als die Politik reagierte und die Fleischindustrie u.a. zum eigenhändigen Betrieb der Unterkünfte verpflichtete und Werkverträge (Selbständigkeit) verbot, schienen sich die Dinge zum Besseren zu wenden. Doch aus gewerkschaftlicher Sicht ist diese Gesetzesreform das Eingeständnis einer Niederlage: Aufgrund der geringen Organisierung in der Fleischindustrie war es bisher nirgends möglich, dass Arbeiter*innen selber Veränderungen erkämpfen. Diese Schwäche wird auch langfristig einer Durchsetzung der neuen gesetzlichen Mindeststandards im Weg stehen.

Diesen Eindruck bestätigen auch die Medienberichte aus diesem Jahr: Tönnies-Partner sollen illegal Schlachtabfälle auf Feldern in Bayern entsorgt und Tönnies selber soll Sozialbetrug organisiert haben. Es gibt also weiterhin mehr als genug Gründe, gegen Tönnies auf die Straße zu gehen.

Daher unterstützen wir die Kundgebung des BUND in Weißenfels und hoffen, dass es in Zukunft wieder mehr gemeinsame Aktionen von Umweltschützer*innen, Tierschützer*innen und -befreier*innen und von Arbeiter*innen mit ihren Gewerkschaften geben wird.

Kein Lohn bei Krankheit im Corona-Testzentrum? – Nicht mit uns!

Die FAU Halle ist erfolgreich gegen die ungerechtfertigte Kündigung einer Arbeiterin in einem Corona-Schnelltestzentrum in Merseburg vorgegangen. Die Kollegin wurde zunächst per E-Mail rechtswidrig gekündigt, nachdem sie die ihr zustehende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gefordert hatte. Im Nachgang der Kündigung wurde zudem Gehalt zurückbehalten. Hier hat die FAU außergerichtlich die Zahlung ausstehender Lohnansprüche, nicht gezahlten Urlaubsentgeltes, sowie die ausstehende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 2.100 Euro erwirkt.

Nicht zum ersten Mal werden der FAU Halle eklatante Misstände in Bezug auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Mindeststandards bekannt. Dass es hier in einem Testzentrum während der Coronapandemie u.a. um verwehrte Lohnfortzahlung bei Krankheit geht, ist besonders erschreckend; zudem bei einem Chef und Arzt der vorgibt, sich gleich zu Beginn der Pandemie mit der Eröffnung von Testzentren engagiert zu haben und allen Sicherheit durch Schnelltests zu bieten.

Die kämpferische Kollegin sagt: „Ich fühlte mich einfach verarscht. Wenn die medizinischen Standards oder gesundheitsfördernde Maßnahmen nach außen hin so hoch gehalten werden, dann müssen diese erst recht für die Beschäftigten gelten. Noch dazu wenn es sich schlicht um geltendes Arbeitsrecht handelt.“

Ein Ende solcher Ungerechtigkeiten kann es langfristig nur geben, wenn sich Beschäftigte solidarisieren und gemeinsam für ihre Rechte einstehen, zum Beispiel mit Hilfe ihrer Gewerkschaft. Denn wieder einmal zeigt sich auch hier, dass wir uns erfolgreich gegen die Ausbeutungen am Arbeitsplatz wehren können.